Atombombe Brexit, Enteignung auf Raten und Hyperinflation in Japan
Wenn praxiserfahrene, niemandem mehr Rechenschaft schuldige Koryphäen der Ökonomie im fortgeschrittenen Alter Warnsignale ausstoßen, gilt es, die Ohren zu spitzen. So wie in der vergangenen Woche, als der umtriebige Professor Hans-Werner Sinn beim 30. Jubiläum des Finanzdienstleisters Feri und zwei Tage später der nicht minder umtriebige Professor Otmar Issing aus Anlass des 4. Kapitalmarkttags der Privatbank Hauck & Aufhäuser die Zuhörer das Fürchten lehrten.
Beginnen wir mit Sinn. Er bezeichnet den für 2019 anstehenden Brexit als “eine Art Atombombenexplosion” – mit schlimmen Folgen für Deutschland, sei Großbritannien doch unser drittgrößter Exportmarkt. Deutsche Politiker hätten durch die Bank noch nicht begriffen, wie problematisch der Brexit ist. Das Schlimme daran: Sobald die Briten als Partner Deutschlands in der EU wegfallen, bekommen Franzosen, Italiener und Spanier ein Übergewicht und ergreifen die Initiative, indem sie Deutschland zur Transferunion zwingen.
In der Bundesregierung hat sich zwar hier und da die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein harter Brexit kommt: “Wir sollten uns alle darauf einstellen”, warnte Thomas Steffen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, aus Anlass der vorwöchigen 20. Euro Finance Week. Aber bis alle Parlamentarier diese Botschaft wirklich begriffen haben, darüber werden noch viele Monate vergehen. Vor diesem ernsten Hintergrund erscheinen die aktuellen Koalitionsverhandlungen geradezu wie ein Kinderspiel.
Nun zu Issing. Er macht sich besonders große Sorgen um die in der Öffentlichkeit viel zu wenig diskutierten Konsequenzen aus den langjährig niedrigen Zinsen: “Hier findet eine Enteignung der Sparer statt.” Das sei allerdings nur ein Teil des Problems. Ein noch größerer Teil bestehe darin, dass die Altersvorsorge über Lebensversicherungen und Pensionen besonders hart betroffen sein werde.
Daraus folgt: Es wird zur Enteignung auf Raten kommen, denn diese beiden Sparformen sind für viele Jahre konzipiert. Das Schlimme daran: Die Alternativen sind rar geworden. Tages- und Festgeld? Derzeit nur als Geldparkplatz geeignet. Anleihen? Allein hartgesottenen Profis vorbehalten. Aktien? Überwiegend schon zu hoch bewertet. Immobilien? Im Großen und Ganzen zu teuer. Gold und Silber? Als Versicherung gegen ein Währungsdesaster und wegen der jetzt relativ niedrigen Preise geeignet, doch Banken und Sparkassen raten vom Kauf eher ab, weil sie daran nur wenig verdienen können.
Was ist nur aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt geworden? Issing meint: “Er wurde von Politikern nie ernst genommen, inzwischen gibt es über hundert Verstöße gegen ihn.” Italien sei “das Europroblem schlechthin”. Aber die Italiener dächten nicht im Traum daran, die Eurozone zu verlassen. Sie vertrauen einfach darauf, dass die EZB ihre Probleme löst. Und was ist mit Griechenland? Das folgende Beispiel spricht Bände: Dort wurde ein Statistiker aus dem Verkehr gezogen, bedroht und anschließend sogar wegen einer Lappalie vor Gericht angeklagt, weil er die amtliche Statistik um eklatante Fehler bereinigt hatte. Inzwischen sind seine Korrekturen wieder rückgängig gemacht.
Schließlich kann sich Issing nicht eine brisante Prognose verkneifen: “Geht es mit der japanischen Geldpolitik so wie bisher weiter, wird es in Japan zu einer Hyperinflation kommen.” Das sind zweifellos ganz starke Worte. Wobei sich aus deutscher Sicht gleich die beiden Fragen aufdrängen: Was wird aus der Inflation in Europa, speziell in Deutschland, und in Amerika?
Besteht etwa Ansteckungsgefahr? Da ist Issing mit der Antwort vorsichtig; klar, als ehemaliger Chefvolkswirt der EZB muss er es ja sein, weil er die Geldpolitik in der Eurozone mitbestimmt hat. Immerhin sind zwei Aussagen von ihm aufschlussreich. Erstens: “Das Risiko einer Deflation gab es hier nie.” Zweitens: “Dass die jetzige Inflation angeblich zu niedrig ist, geht mir gegen alles.”
Daraus lässt sich schließen: Der vermeintliche Kampf der EZB gegen die Deflation war nur vorgeschoben, damit die Geldschleusen ganz weit geöffnet werden konnten. Und das von der EZB ausgegebene Inflationsziel von nahe, aber unter 2 Prozent ist offenbar ebenso eine Farce wie das alberne Gerangel um seine Erreichung. In welcher Geldwelt leben wir eigentlich? Kann Mario Draghi mit seinen Getreuen im EZB-Rat sich wirklich alles erlauben, um seinen Inflations-Dickkopf durchzusetzen?
Ja, er kann, denn mangels gemeinsamer Regierung der Euroländer ist ein Machtvakuum entstanden, in das Draghi hineingeschlüpft ist. Er hat sogar einen im Geist verbundenen Mitstreiter gefunden: Frankreichs vom Mainstream überbewerteten Präsidenten Emmanuel Macron. Und beiden kann Deutschland so lange nichts entgegensetzen, bis die neue Bundesregierung steht.
Schlägt man den Bogen nach Amerika, wird es nicht minder spannend, zunächst jedoch aus ganz anderen Gründen: Dort nähern sich die kurz- und langfristigen Renditen der Anleihen. Das ist üblicherweise ein untrügliches Zeichen für eine nahende Konjunkturflaute. Ihr könnte die dortige Notenbank Fed theoretisch mit einer Zinssenkung etwas entgegensetzen. Doch deren Spielraum ist sehr gering, weil die Fed die Zinsen bisher nur geringfügig in Trippelschritten erhöht hat. Und so richten Börsianer ihr Augenmerk jetzt auf die im Dezember noch anstehenden Sitzungen von Fed und EZB.
Damit ist für genug Spannung gesorgt. Denn es tauchen gleich drei Fragen auf: Was wird die EZB unternehmen, zumal für den Fall einer Auseinanderentwicklung der aufwärts gerichteten europäischen und der möglicherweise bald abwärts gerichteten amerikanischen Konjunktur? Kann die Fed sich leisten, in ihrer Dezember-Sitzung die Zinsen bei vielleicht gerade noch halbwegs guter Konjunktur ein weiteres Mal zu erhöhen, um nach einer späteren Konjunkturflaute genug Spielraum für eine Zinssenkung zu haben? Und wird die EZB länger als zuletzt verkündet an ihrer extrem lockeren Geldpolitik festhalten, um nicht zu riskieren, dass die Konjunktur in der Eurozone abflaut?
Dazu gleich die passenden Antworten: Die EZB dürfte erst mal abwarten und stillhalten. Die Fed wird alles, auch gerüchteweise, in Bewegung setzen, um die amerikanische Konjunktur positiv aussehen zu lassen. So kann sie Spielraum für eine zumindest kleine Zinserhöhung gewinnen, um bei später schwächer werdender Konjunktur die Zinsen wieder senken zu können. Und die EZB wird ihre lockere Geldpolitik beibehalten, solange die Konjunktur in Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien sich nicht nachhaltig bessert.
Das alles wird die Währungen beeinflussen. Aber wie? Konsens ist zurzeit, der Doller werde gegenüber dem Euro zulegen, im Extremfall sogar bis zur Parität. Begründet wird diese Prognose vielfach mit der angeblich immer noch robusten amerikanischen Konjunktur und mit der in ihrem Gefolge zu erwartenden Dezember-Zinserhöhung. Dazu mag es zwar kommen, aber sicher ist es längst noch nicht. Man denke nur daran, dass nach einem Jahr Trump-Regierung jedes der wortreich angekündigten Projekte zur Belebung der Konjunktur, gelinde formuliert, im Versuchsstadium stecken geblieben ist.
Abschließend noch einige Worte zum Gold, dem man nachsagt, mit dem Dollar eine negative Korrelation zu bilden. Das stimmt auf Dauer im Großen und Ganzen, jedenfalls in der Rückwärtsbetrachtung. Aber wird es in Zukunft dabei bleiben? Zweifel sind angebracht. Zumindest so viel steht fest: Gold wird zukünftig als Währungsbasis und -deckung eher in China und Russland eine Rolle spielen als in den USA.
Daraus ergibt sich unter anderem, dass die in Dollar angelegten chinesischen Währungsreserven abschmelzen, was nicht gut für den Dollar-Wert sein kann. In dieser Gemengelage wäre ein langfristig nach oben gerichteter Goldpreistrend nur allzu konsequent. Dabei ist noch nicht mal berücksichtigt, dass die Japaner, sobald in ihrem Land die Hyperinflation naht, den Goldpreis zusätzlich nach oben treiben werden.
© Manfred Gburek
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Dieser Artikel wurde am 19.11.2017 auf www.goldseiten.de veröffentlicht.
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