Bundesbank-Präsident Jens Weidmann: EZB ist übers Ziel hinaus geschlossen – und Sparer sind die Leidtragenden
Wie machtlos die Europäische Zentralbank ist, wurde am 12. September eindrucksvoll deutlich: Als EZB-Chef Mario Draghi zum letzten Mal in seiner Amtszeit vor die Presse trat, hatte er zum Abschied eine ganze Reihe geldpolitischer Wohltaten für Spekulanten und Kreditnehmer im Gepäck, während Sparer künftig noch stärker belastet werden. Doch die neuerlichen geldpolitischen Lockerungen sind in kürzester Zeit verpufft. Und Draghi muss sich kurz vor seinem Ruhestand kräftigen Gegenwind gefallen lassen: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die EZB davor gewarnt, die Menschen nicht „zutiefst zu verunsichern“. Weidmann stemmt sich vehement gegen eine Fortsetzung der expansiven Geldpolitik.
In einem Gespräch mit der „BILD“-Zeitung hat Bundesbank-Chef Jens Weidmann die jüngsten Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) scharf kritisiert: „Ein so weitreichendes Paket wäre nicht nötig gewesen“. Nach Einschätzung von Jens Weidmann ist EZB-Chef Mario Draghi „weit über das Ziel hinausgeschossen“. Weidmann begründet dies mit der wirtschaftlichen Lage, die „nicht wirklich schlecht“ sei. Der deutsche Vertreter im EZB-Rat macht deutlich, dass er mit seiner Position „nicht allein“ sei und dass die Gefahr bestünde, die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik „absehbar infrage“ zu stellen. Die EZB habe immer weniger Möglichkeiten, aus der Politik des billigen Geldes sowie der Staatsanleihekäufe auszusteigen. Weidmann warnt vor Nebenwirkungen und Finanzstabilitätsrisiken der – nach seiner Meinung – „sehr“ expansiven Geldpolitik.
Im Interview mit der „BILD“-Zeitung macht Jens Weidmann deutlich, dass neben Unruhen an den Finanzmärkten mit Auswirkungen für Spekulanten jedoch weitaus mehr Menschen betroffen seien: Sparer seien „schlechter dran“, kritisiert Weidmann. Es werde immer schwerer, für das Alter vorzusorgen, ohne mehr Risiko einzugehen. Dies spürten nicht nur Pensionsfonds und Lebensversicherer. Die Menschen müssten sich nach Einschätzung von Jens Weidmann auch künftig darauf verlassen können, dass das Geld seinen Wert behält.
Infolge der Politik des billigen Geldes sind Aktien, Anleihen und Immobilien auf Rekordpreisniveaus geklettert – wer sein Geld auf dem Sparbuch liegen lässt, ist dagegen von einem schleichenden Wertverlust betroffen. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen den Nullzinsen sowie der steigenden Inflation. Aktuell liegt der Kaufkraftverlust für Sparguthaben zwischen einem und zwei Prozent pro Jahr. Zwar hat in diesem Jahr aufgrund der zunehmenden geopolitischen Risiken eine Flucht in Sachwerte wie Gold eingesetzt, doch die Party an den Finanzmärkten geht offenbar mit unverminderter Geschwindigkeit weiter – mit immer größeren Crash-Gefahren.
Der Bundesbank-Präsident ist nicht allein mit seiner Kritik – auch Hans-Werner Sinn, früherer Chef des Münchner IFO-Instituts und renommierter Wirtschaftswissenschaftler, sieht dramatische Folgen der EZB-Politik für die Altersvorsorge vieler Deutscher: „Ich habe große Angst vor Minuszinsen”, erklärt Sinn in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“. Die Negativzinsen wirbelten die gesamte Wirtschaft durcheinander – „mit schlimmen Folgen für den Wohlstand Europas“, wie Sinn klarstellt. Er kritisiert, dass unwirtschaftlich agierende Firmen durch das billige Geld „weiterleben und sich so breit machen, dass für neue innovativere Firmen kein Raum bleibt“.
Draufzahlen müssten dagegen Bürger mit einer klassisch strukturierten Altersvorsorge, beispielsweise mit Lebensversicherungen und betrieblicher Altersversicherung. Ihnen drohe Altersarmut bei Minuszinsen. Bereits jetzt drohen dem Bericht zufolge einige Lebensversicherer mit Kürzungen beim Garantiezins – die R+V Versicherung hat gerade erst angekündigt, dass eine Kürzung der Garantieverzinsung für Lebensversicherungen nötig sei – selbst die magere Garantie von nur noch 0,9 Prozent sei im aktuellen Niedrigzinsumfeld nicht mehr aufrecht zu erhalten.
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