Goldreport 05/22: Rebound nach markantem Kursrutsch
Der Goldpreis rutschte im Mai temporär unter die langfristige 200-Tage-Linie sowie unter die Marke von 1.800 Dollar und sorgte dadurch für eine erhöhte Nervosität. Goldinvestoren mit langfristigem Anlagehorizont sollten sich dadurch allerdings nicht verunsichern lassen.
Eingeläutete Zinswende belastet den Goldpreis
An den Finanzmärkten hat im Mai die Anziehungskraft des Krisen-, Vermögens- und Inflationsschutzes Gold zeitweise stark gelitten, weil vor allem die US-Notenbank Fed die Zinswende eingeläutet hat. Anfang des Monats schraubte sie die Leitzinsen um 50 Basispunkte nach oben und beschloss damit die kräftigste Zinserhöhung seit 22 Jahren. Grund: Mit einer aktuellen US-Teuerungsrate von aktuell 8,3 Prozent p. a. (April) und der schwindenden Aussicht auf Entlastung – bedingt durch Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Lockdowns in China – stellte das Ende der ultraexpansiven Geldpolitik für viele Kapitalmarktexperten keine große Überraschung dar.
Als Überraschung kann man allerdings die starke Reaktion des Goldpreises auf die Nachrichten von der „Zinsfront“ einstufen, schließlich rutschte dieser zeitweise sogar unter die Marke von 1.800 Dollar pro Feinunze. Angesichts der geopolitischen Gefahrenlage und der drohenden Stagflation bzw. Rezession scheint das Schutzbedürfnis der Investoren derzeit nicht sonderlich stark ausgeprägt zu sein.
Starker Verkaufsdruck kommt derzeit vor allem von den Terminmärkten, wo große Terminspekulanten (Non-Commercials) mittlerweile seit fünf Wochen in Folge ihre Netto-Long-Position (mehrheitlich optimistisch gestimmt) zurückgefahren haben. Mit 175.400 Futures (Stand: 17. Mai) wird das Niveau von Ende Dezember um mehr als 17 Prozent unterschritten. Massive Verkäufe gab es im Mai aber auch beim weltgrößten Gold-ETF SPDR Gold Shares zu beobachten. Dessen gehaltene Goldmenge hat sich nämlich im Mai bislang um 26,5 Tonnen reduziert, weist aber seit dem Jahresultimo signifikante Zuflüsse in Höhe von 92,4 Tonnen auf.
Kaum profitiert hat der Goldpreis von der rasanten Talfahrt an den US-Aktienmärkten, an denen aufgrund deutlich gestiegener Zinsen vor allem Technologiewerte im großen Stil verkauft wurden. Normalerweise herrscht zwischen Aktien und Gold eine negative Korrelation. Das heißt: Bei sinkenden Aktienkursen fliehen Anleger in den „sicheren Hafen Gold“. Diese vermeintlich Gesetzmäßigkeit hat im Mai nicht gegriffen, weil das gelbe Edelmetall vor allem unter dem starken Dollar und dem kräftigen Zinsanstieg gelitten hat.
Robert Hartmann, der Mitgründer von pro aurum, weist darauf hin, dass sich derzeit nahezu alle Märkte im Risk-off-Modus befinden. Solche Phasen habe es auch in der Vergangenheit gegeben, beispielsweise zu Beginn der US-Immobilienkrise im Jahr 2008. Seiner Ansicht nach war einfach zu viel Leverage vorhanden, also kreditfinanzierte Hebel der Marktteilnehmer, um noch größere Positionen eingehen zu können. Er erklärt: „Vieles davon fällt nun – wie ein Kartenhaus – in sich zusammen, weil die für die kreditfinanzierten Positionen hinterlegten Geldmittel nicht mehr ausreichen, um die Verluste zu decken. Deshalb müssen viele dieser Positionen aufgelöst werden.“ Dies führe zu dem enormen Verkaufsdruck auf nahezu allen Märkten. Doch Edelmetallexperte Hartmann gibt sich zuversichtlich und sagt: „Ich gehe davon aus, dass die überwiegende Anzahl dieser kreditfinanzierten Positionen mittlerweile bereinigt worden ist.“
Statements der EZB werden „falkenhafter“
Selbst die Europäische Zentralbank stellt mittlerweile höhere Leitzinsen in Aussicht. In der Eurozone liegen diese seit über sechs Jahren bei null Prozent. Außerdem verlangt die EZB für Bankeinlagen „Strafzinsen“ in Höhe von minus 0,5 Prozent p. a., die ebenfalls bald der Geschichte angehören könnten. In den vergangenen Jahren haben viele Banken diese Kosten in Form von „Verwahrentgelten“ an ihre Kunden weitergegeben. Die niederländische ING hat bereits angekündigt, ab dem 1. Juli die Freibeträge für Guthaben auf Giro- und Tagesgeld-Konten von aktuell 50.000 auf 500.000 Euro pro Konto zu erhöhen. Damit wären laut Unternehmensangaben 99,9 Prozent der Kunden von Verwahrentgelten befreit. Nun darf man gespannt sein, ob sich die Konkurrenz ebenfalls zu einem solchen Schritt entschließen wird.
EZB-Chefin Christine Lagarde äußerte sich im Mai dahingehend, dass der erste Zinsschritt nach oben wenige Wochen nach dem Ende der Anleihenkäufe erfolgen könnte. Dieses sei für Anfang des dritten Quartals geplant. Zahlreiche Analysten halten ein Ende der ultraexpansiven Geldpolitik für überfällig und begründen dies mit der überdurchschnittlich hohen Inflation. Sie kletterte im April mit 7,4 Prozent p. a. auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung. Bundesbankpräsident Joachim Nagel forderte ebenfalls eine baldige Wende in der europäischen Geldpolitik – insbesondere, weil man verhindern müsse, dass sich Preise und Löhne gegenseitig hochschaukeln (Lohn-Preis-Spirale).
Für Edelmetallprofi Hartmann sind die führenden Notenbanken allesamt „behind the curve“. Das heißt: Ihre Annahme, die Inflation sei nur ein vorübergehendes Phänomen, hat sich nicht bewahrheitet. Nun drohe eine Stagflation, sprich ein Rückgang des Wachstums bei gleichzeitig hohen Inflationsraten. Er sagt: „Die angekündigte Zinswende kommt viel zu spät und untergräbt somit die Glaubwürdigkeit der EZB, schließlich ist die Zentralbank nur der Geldwertstabilität verpflichtet und hat hier in den Augen vieler Analysten versagt.“ Für die Schuldner sei dies natürlich ein Segen, denn sie können ihre Verbindlichkeiten mit deutlich entwertetem Geld zurückzahlen. Für Hartmann ist eines völlig klar: Die Staaten würden sich über entwertetes Geld entschulden – so sei es in der Vergangenheit schon immer gewesen.
Silber fällt deutlich stärker als Gold
Den beiden Edelmetallen Silber und Gold werden traditionell folgende Eigenschaften nachgesagt. Erstens: Zwischen beiden herrscht eine positive Korrelation. Dies bedeutet, dass sich Gold und Silber in der Regel im Gleichschritt nach oben bzw. unten bewegen. Zweitens: Dabei wird dem Silberpreis allerdings eine Hebelwirkung gegenüber Gold bescheinigt, was zugleich eine deutlich höhere Kursschwankungsintensität nach sich zieht. Während der Goldpreis im Mai bislang 2,3 Prozent eingebüßt hat, fiel der Silberpreis mit 4,4 Prozent deutlich stärker zurück.
Die Outperformance von Gold gegenüber Silber lässt sich besonders gut durch an der gestiegenen Gold-Silber-Ratio ablesen. Diese gibt nämlich an, wie viele Feinunzen Silber zum Kauf einer Feinunze Gold benötigt werden. Seit dem Jahreswechsel war bei dieser Kennzahl ein Anstieg von 78 auf aktuell 85 registriert worden, wobei in den vergangenen fünf Jahren Schwankungen zwischen 62 und 126 zu beobachten waren.
Robert Hartmann merkt in diesem Zusammenhang an, dass seit zwei Jahren mehr Silbermünzen nachgefragt als von den Produzenten zur Verfügung gestellt werden. Es sei schon seltsam, dass man auf dem aktuellen Preisniveau nicht ausreichend Silbermünzen für die Kunden beschaffen könne. Er erklärt: „Laut gängiger Wirtschaftslehre müsste der Preis bei großer Nachfrage eigentlich steigen. Die Preisfindung wird aber noch an den Futures-Märkten gemacht.“ Hier gab es in den vergangenen Wochen unter großen wie kleinen Terminspekulanten eine deutliche Reduzierung der Long-Positionen zu beobachten. Dies sei in der Vergangenheit oft ein guter Indikator für eine Bodenbildung beim Silberpreis gewesen. Hartmann zieht folgendes Fazit und sagt: „Ich bin optimistisch, dass dies erneut der Fall sein wird. Solange die Nachfrage höher ist als das Angebot, werden die Aufgelder für Silbermünzen aber weiterhin hoch bleiben.“
Mai: leicht nachlassende Nachfrage
In den vergangenen Handelstagen verzeichnete der Edelmetallhandel von pro aurum eine leicht rückläufige Nachfrage bei Goldmünzen und Goldbarren. Dies gibt uns und unseren Mitarbeitern die Gelegenheit, etwas „durchzuschnaufen“ und zu versuchen, die Goldbestände wieder etwas aufzustocken. Insbesondere bei Goldbarren in den Gewichtseinheiten ein bis 100 Gramm stellt dies aber eine größere Herausforderung dar. Die Produktion der nächsten Wochen ist bei diesen Einheiten laut Herstellerangaben bereits verkauft.
Drei Fragen an die Privatkunden von pro aurum
An der Edelmetall-Stimmungsumfrage von pro aurum haben im Monat Mai insgesamt 820 Anleger (April: 672) teilgenommen. Dabei hat sich bei den Quoten der kaufwilligen und der abwartenden Anleger eine Patt-Situation eingestellt. Ihr Anteil belief sich nämlich jeweils auf 47,0 Prozent. Nahezu unverändert fiel unter den Befragten indes die Verkaufsbereitschaft aus, die sich gegenüber dem Vormonat von 6,3 auf 6,0 Prozent nur leicht reduziert hat.
Hinsichtlich der Frage nach der Bewertung der aktuellen Edelmetallpreise gab es im Mai folgende Stimmungsveränderungen zu vermelden. Die Einschätzung, dass Edelmetallpreise derzeit unterbewertet seien, vertraten 46,0 Prozent der Umfrageteilnehmer (April: 40,3 Prozent). Fair bewertete Edelmetallpreise sehen aktuell 37,0 Prozent der Anleger, nachdem im Monat zuvor hier noch ein deutlich höherer Wert von 43,2 Prozent registriert worden war. Leicht nachgelassen hat die Einschätzung, dass Edelmetalle aktuell überbewertet sind. Diese Quote rutschte nämlich von 18,0 auf 17,0 Prozent ab.
Bei der Frage nach der weiteren Preisentwicklung der Edelmetalle im kommenden Quartal war erneut eine wachsende Skepsis zu beobachten. So rechnen im Mai 43,8 Prozent der Befragten (April: 45,3 Prozent) mit steigenden Edelmetallpreisen. Gegenüber dem Vormonat hat sich die Prognose einer Stagnation kaum verändert. Hier gab es lediglich einen marginalen Quotenrückgang von 40,6 auf 40,5 Prozent zu vermelden. Leicht gestiegen ist hingegen die Anzahl der Pessimisten, wo auf Monatssicht ein Zuwachs von 14,1 auf 15,7 Prozent zu Buche schlug.
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