Hinter den Kulissen der Traumfabrik: Kunden von pro aurum erkunden die Münze Österreich
Die Geburt einer Münze geschieht fast geräuschlos: Nur gelegentlich ist ein leichtes Kratzen zu vernehmen oder ein Räuspern. Kunstvoll tänzelt die Graveurin mit einem feinen Griffel über eine braune Knetmasse, in stundenlanger Detailarbeit entsteht aus dem Haufen das Gesicht eines Ritters, ein Löwe oder ein Flughafen-Tower. Die Graveurin sitzt an ihrem Pult in einem weiten Saal mit hoher Decke und Dielenfußboden – auf den ersten Blick erinnert diese Kulisse wohl kaum an eine Prägestätte, sondern an eine Kunstakademie.
Nachbearbeitung Prägestempel in der technischen Graveurie
Die Produkte der Münze Österreich sind in der Numismatik weltbekannt und für ihre hochwertige Verarbeitung und feinste Details beliebt. Doch der Entstehungsprozess geschieht üblicherweise im Verborgenen: Das historische Gebäude im Herzen der österreichischen Hauptstadt Wien wurde nicht für Führungen von Touristengruppen konzipiert. Nur im Ausnahmefall öffnet die Münze ihre Pforten für Besucher: Im November 2019 hatten zwei Gewinner des Preisausschreibens von pro aurum und der Münze Österreich die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen der Prägestätte zu werfen, die gelegentlich auch als “Traumfabrik der Numismatik” bezeichnet wird.
Stiegenaufgang im Gebäude
Geld in der Hostentasche ist tabu
Die Bedeutung dieses besonderen Ortes wird bereits beim Einlass deutlich: Gäste müssen Stahlkappen auf ihre Straßenschuhe stecken und eine Sicherheitsschleuse passieren. Auf einem Hinweisschild werden die Besucher angehalten, ihre Taschen auf Münzen zu kontrollieren. Wird bei der Kontrolle am Ausgang auch nur ein Cent in der Jackentasche gefunden, muss die Polizei gerufen werden. Bei den letzten Vorbereitungen vor dem Eintritt in die Produktionshallen bestaunen die Gäste von pro aurum und der Münze Österreich das historische Gemäuer der Prägestätte, die seit 1837 am Heumarkt residiert und einst die erste Dampfmaschine Wiens beherbergte.
Der Rundgang beginnt im Atelier der Medailleure. Franz Artmüller, der als Marketing-Manager den Bereich “New Media” bei der Münze Österreich betreut, erklärt seinen Gästen, die eigens aus Norddeutschland angereist sind, die Finessen der Gestaltung eines Münzentwurfs: Auf einer Metallscheibe modellieren die Medailleure mit Plastilin das Relief der Münze, dabei haben sie lediglich eine Höhe von höchstens zwei Millimetern zur Verfügung: “Das ist extrem wenig. Deshalb müssen sie gewisse Tricks anwenden, optische Täuschungen”, erklärt Artmüller.
Plastilinmodellierung als erster Schritt der plastischen Darstellung der Entwürfe
Zu Besuch in der Gipsküche
Nach dem künstlerischen Auftakt übernehmen die Maschinen: Das Modell wird in Graustufen gescannt, um die Höhen zu erfassen. Danach wird eine Matrize als Vorlage für die Stempel angefertigt. Auf dem Weg in die “technische Gravurie” gehen die erfolgreichen Teilnehmer des Gewinnspiels durch einen Raum, der auf den ersten Blick wie eine Küche aussieht. Knetmodelle liegen auf dem Tresen. “Das ist die Gipsküche. Hier werden die Modelle der Medailleure in Gips umgegossen”, sagt Franz Artmüller und hält ein solches Gipsmodell hoch, welches sich zuvor neben anderen Modellen in einem Ständer befand wie in einer Spülmaschine.
Im Werkzeugbau werden daraufhin die Gipsmodelle per Laser digitalisiert und in Metall gefräst. Der Laser ist so detailgenau, dass er die Struktur des Gipses in das Digitalfoto überführt. Das Metall, welches für die späteren Prägestempel genutzt wird, ist mindestens so wertvoll wie Gold: Es wird von nur einer Firma weltweit hergestellt.
Permanente Qualitätskontrolle sichert die hohe Qualität der Euro Münzen.
Polierte Platte: Jede Münze wird mehrfach geprägt
Im zweiten Teil der Führung erleben die Gäste von pro aurum und der Münze Österreich hautnah, wie vielfältig die Münzprägung ist: In einem Raum werden die hochwertigen “Polierte Platte”-Münzen geprägt, zwei Maschinen werden von zwei Mitarbeiterinnen bedient und jedes Stück wird mehrfach geprägt sowie kritisch begutachtet. Denn wenn nur das kleinste Staubkorn auf der Oberfläche des Stempels abgelagert ist, werden die Münzen mit Prägefehlern versehen. Franz Artmüller erklärt, dass in der Fertigung der Sammlermünzen in der höchsten Prägequalität der Stempel nach maximal 1.500 Münzen ausgetauscht wird.
Stempelstahl für Prägestempel
Im Nachbarraum wird die Taktfrequenz deutlich erhöht: Hier entstehen ebenfalls Sammlermünzen, allerdings in der sekundären Sammlerqualität “Handgehoben”, welche dem “Stempelglanz” in der deutschen Numismatik ähnelt. Die Münzen werden von einem Roboterarm in ein Tablett einsortiert, der Maschinenführer prüft stichprobenartig das Ergebnis seiner Arbeit. Und nach etwa 6.000 Münzen ist eine Pause nötig, um den Prägestempel zu wechseln. In diesem Raum entstehen beispielsweise die beliebten Kupfergedenkmünzen aus Österreich, welche zum Nennwert abgegeben werden.
Euro-Bargeld: 800 Münzen pro Minute
Was die Gewinner des Preisausschreibens von pro aurum und der Münze Österreich wenig später sehen, lässt sie sprachlos zurück – und womöglich wäre es auch mit verstärkten Anstrengungen verbunden, in der Produktionshalle der Umlaufmünzenprägung zu sprechen. Bis zu 800 Münzen pro Minute werden im Rahmen eines industriellen Fertigungsverfahren von der Prägemaschine ausgespuckt, sie landen in einem großen Behälter und werden einer Sichtkontrolle unterzogen – neben jeder Maschine steht eine Schale mit der Aufschrift “Ausschuss”, welche für Sammler von Fehlprägungen wohl ein unbezahlbarer Schatz wären.
Hochleistungs Prägemaschine für Umlaufmünzen
Nach knapp drei Stunden ist die Expedition in die Welt der Münzprägung beendet – und das Ehepaar aus Norddeutschland nutzt einen Kaffeehausbesuch, um das Erlebte Revue passieren zu lassen. Was sie am Meisten überrascht hat? “Wie detailreich und aufwändig die Produktion von Münzen ist”, sagen die Gewinner des Preisausschreibens, die Gold bisher vor allem als Investment verstanden haben und Edelmetalle für sich und Verwandte als Vorsorge nutzen. Doch aus ihrer Faszination für die vielen Schritte des Prägeprozesses und die Produktvielfalt der Münze Österreich von der Medaille in Kleinauflage bis zur Euromünze in Millionenmenge lässt sich erahnen, dass sie möglicherweise auch als Münzensammler nach Deutschland zurückreisen.
Frisch geprägte 2-Euro Münzen
Bildrechte: ©Münze Österreich