Noch ignoriert der Goldpreis die Inflation
Von Robert Hartmann, Mit-Gründer von pro aurum
Das Jahr 2021 war bislang durch eine starke Performance internationaler Aktienindizes und ein kräftiges Anziehen der Inflation gekennzeichnet. Bei Gold und Silber geriet deren Funktion als Krisen- und Inflationsschutz dennoch in Vergessenheit, was beide in den ersten neun Monaten spürbar verbilligt hat.
Inflation auf dem Vormarsch
Die Corona-Sorgen haben in diesem Jahr dank des Einsatzes mehrerer Impfmittel stark nachgelassen. Für eine generelle Entwarnung scheint die Zeit aber noch nicht reif zu sein, schließlich sind wir von einer weltweiten Herdenimmunität noch meilenweit entfernt. Lockdown-Maßnahmen haben im vergangenen Jahr in zahlreichen Branchen zu massiven Verwerfungen und Produktionsproblemen geführt. Weil zum Beispiel die Chiphersteller durch den diesjährigen Nachfrageboom der Smartphone- und Automobilproduzenten regelrecht überfordert waren, mussten viele Firmen aufgrund dieser Lieferschwierigkeiten – trotz voller Auftragsbücher – Kurzarbeit anmelden. Daneben sorgten aber zahlreiche weitere Negativfaktoren, wie die stark gestiegenen Energiepreise oder die regelrecht explodierten Frachtraten für Schiffscontainer, für historisch hohe Teuerungsraten.
In den USA wurde im Juli mit 5,4 Prozent p. a. die höchste Inflationsrate seit 13 Jahren gemeldet. In Deutschland fiel die Geldentwertung mit 3,9 Prozent p. a. für den Monat August zwar optisch niedriger aus, allerdings stellte dies den höchsten Wert seit über 27 Jahren dar. Diese Entwicklung bringt für jeden Bundesbürger ein großes Problem mit sich. Ärmere Bevölkerungsschichten müssen einen immer größer werdenden Teil ihrer Einkommen für die allgemeine Lebenserhaltung aufwenden. Wohlhabende Bürger, die überwiegend auf relativ risikoarme Anlageklassen wie Bargeld, Bankguthaben, Termingelder oder Staatsanleihen vertrauen, befinden sich ebenfalls in der Bredouille. Sie sollten sich nämlich darüber bewusst sein, dass bspw. ein Bargeldbetrag von 100.000 Euro auf Basis der oben erwähnten Inflationsrate innerhalb eines Jahres einen Kaufkraftverlust in Höhe von 3.900 Euro erleidet. Übrigens: Etwaige Strafzinsen der Banken bzw. Negativrenditen deutscher Staatsanleihen wären bei dieser Berechnung noch gar nicht berücksichtigt.
Notenbanken beschwichtigen Inflationssorgen
Das große Problem von ungedeckten Fiat-Währungen wie dem Euro oder dem Dollar besteht darin, dass sie in Niedrigzinsphasen der Inflation schutzlos ausgeliefert sind. Nur zur Erinnerung: Anfang der 90er-Jahre grassierte hierzulande letztmals eine Inflation von über fünf Prozent. Weil damals jedoch die Umlaufrendite deutscher Bundesanleihen bei über acht Prozent lag, konnten Sparer diesen Kaufkraftverlust problemlos ausgleichen und zugleich sogar durch den Zinseszinseffekt erhebliche Vermögenszuwächse generieren. Dieser Weg ist den Anlegern durch die aktuelle Nullzins- bzw. Strafzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) versperrt.
Seit Jahrzehnten explodieren sowohl die in Umlauf befindlichen Geldmengen als auch die Schulden von Staaten, Unternehmen und Privathaushalten. Dass diese Entwicklung alles andere als gesund anzusehen ist, sollte jedem Anleger klar sein. In diesem Zusammenhang würde ich deshalb gerne eine provokante Frage in den Raum stellen: Was soll man von einer Währung halten, die ihren Besitzern keine Zinsen bietet und die man „für ’n Appel und ’n Ei“ ausleihen kann? Weil die wichtigsten Notenbanken der Welt ihre Leitzinsen auf null geschraubt haben und seit Längerem pro Monat für 80 Milliarden Euro (EZB) bzw. 120 Milliarden Dollar Anleihen gekauft haben, bieten viele europäische Staatsanleihen bester Bonität ihren Besitzern bereits seit Jahren weniger als nichts. Das führt zu der absurden Situation, dass Staaten bei der Aufnahme neuer Schulden sogar Gewinne erzielen. Wer heutzutage die Kaufkraft seines Geldvermögens erhalten möchte, muss dieses in andere Anlageformen investieren und ist somit gezwungen, das Inflationsrisiko in ein Preisrisiko einzutauschen. Ausgleichen lässt sich nämlich die bei Geld vorprogrammierte Entwertung nur durch Kurszuwächse und/oder Dividenden- bzw. Mieteinnahmen.
Als inflationär kann man aber auch die zahlreichen Beschwichtigungsversuche wichtiger Notenbanker dies- und jenseits des Atlantiks ansehen, die immer wieder die gegenwärtig hohe Inflation als temporäres Phänomen eingeordnet haben. Hinsichtlich der deutschen Geldentwertung wird besonders gerne auf die zum Jahreswechsel beschlossene Erhöhung der Umsatzsteuer auf die ursprünglichen, vor Corona gültigen Sätze von sieben bzw. 19 Prozent sowie den Basiseffekt hingewiesen. Dieser besagt zum Beispiel, dass die Preissteigerung vor allem darauf zurückzuführen sei, dass wichtige Rohstoffpreise während der Corona-Krise massiv eingebrochen seien und die anschließende Erholung nun den Preisauftrieb verursacht hätten. Auch die seit Anfang des Jahres eingeführte CO2-Steuer in Höhe von 25 Euro pro Tonne fossiler Brennstoffe sei für den Inflationsschub verantwortlich. Übrigens: Diese soll bis zum Jahr 2025 auf 55 Euro pro Tonne mehr als verdoppelt werden.
Perfekt passen in dieses Bild die im September getätigten Statements von EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Ihrer Meinung nach sei die Inflation – bei Ausklammerung der pandemiebedingten Nachwirkungen – weiterhin eher zu niedrig als zu hoch. Für mich ist eine solche Sichtweise unglaublich und absolut unglaubwürdig. Eine permanent übermäßig hohe Inflation halte sie zudem für sehr unwahrscheinlich. Nun darf man gespannt sein, ob bzw. wann ihre Prognose eintreffen wird. Die Tatsache, dass sich in der Eurozone die Inflation innerhalb eines Jahres von minus 0,3 Prozent auf plus 3,0 Prozent verteuert hat, stellt für mich durchaus ein Grund zur Sorge da, schließlich erschwert diese überdurchschnittlich hohe Geldentwertung auch die von der Politik seit Jahren angemahnte Notwendigkeit einer privaten Altersvorsorge.
Warum Goldbarren bzw. -münzen in jedes Portfolio gehören
Normalerweise muss sich Geld als Recheneinheit, als Tauschmittel sowie als Wertaufbewahrungsmittel eignen. Die letztgenannte Funktion betrachte ich aufgrund der gegenwärtig vorprogrammierten Entwertung des Euros als akut gefährdet. Da sich die Inflation möglicherweise für längere Zeit nicht durch ebenso hohe Zinseinnahmen kompensieren lässt, sollten Anleger unbedingt handeln. Natürlich eignet sich das gelbe Edelmetall im alltäglichen Wirtschaftsleben eher nicht zum Tausch von Waren oder Dienstleistungen oder als Recheneinheit; für mich stellt Gold aber aufgrund seiner langfristigen Historie die ideale Anlageform zum Erhalt von Kaufkraft dar. Unter diesem Aspekt genießt der altbewährte Krisen-, Vermögens- und Inflationsschutz unter deutschen Anlegern – allen Unkenrufen zum Trotz – hohes Ansehen.
Beim Thema Inflation und Währungsreformen haben Deutsche nämlich durch die Hyperinflation vor 100 Jahren ausgesprochen leidvolle Erfahrungen mit der Geldentwertung gemacht. Diese scheinen sich in das kollektive Gedächtnis deutscher Anleger regelrecht eingebrannt zu haben. Auch deshalb haftet ihnen weltweit der Ruf an, extrem risikoavers und inflationsverängstigt zu sein. Zugleich wird ihnen eine starke Affinität zu Gold nachgesagt, was in einer im Juni veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage eindeutig belegt wurde. Nur ein Beispiel: Mehr als die Hälfte der Befragten stimmten den Aussagen zu, dass Gold eine gute Ergänzung zu anderen Geldanlagen (73 Prozent), eine sichere Geldanlage (70 Prozent) und für risikoscheue Anleger gut geeignet (59 Prozent) sei.
Aber der Goldkauf macht nicht nur für besorgte Investoren Sinn, auch diverse finanzmathematische Kennzahlen lassen den Schluss zu, dass die Beimischung von Gold jedem Depot gut zu Gesicht steht. Da wäre zum Beispiel dessen negative Korrelation gegenüber Aktien, Zinsen oder dem Dollar zu nennen. Dies hat zur Folge, dass sich bei fallenden Aktienkursen, rückläufigen Renditen oder einer markanten Dollarschwäche der Goldpreis in der Regel verteuert und sich dadurch Verlustrisiken reduzieren lassen. Diverse Kapitalmarktstudien attestieren dem gelben Edelmetall eine besonders wohltuende Wirkung: Dessen Beimischung kann nämlich dabei helfen, das Gesamtrisiko eines Wertpapier-Portfolios signifikant zu reduzieren.
Viele Anleger, die Gold vor allem als „sicheren Hafen“ und „Stabilitätsanker“ betrachtet haben, dürften am 9. August (Montag) ziemlich nervös geworden sein. Binnen kurzer Zeit rauschte nämlich an diesem Tag der Goldpreis gegenüber seinem Freitagshoch in der Spitze um über 130 Dollar in die Tiefe. Ich hatte mich sehr gewundert, dass während eines asiatischen Feiertags zu nachtschlafender Zeit Gold im Gegenwert von vier Milliarden Dollar auf den Markt geworfen wurde – ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Mittlerweile hat sich die Aufregung aber wieder gelegt. Mit Blick auf die Risikokennzahl Volatilität weist Gold unter sämtlichen Anlageklassen wieder einen ausgesprochen attraktiven Wert aus. Die von der US-Terminbörse Chicago Board Options Exchange entwickelten Volatilitätsindizes zeigten, dass Mitte September der Kauf von Gold (GVZ: 16,4 Prozent) wieder als weniger riskant einzuordnen war als ein Investment in die 500 bedeutendsten US-Aktien (VIX: 24,1 Prozent). Gemäß den Erkenntnissen der Kapitalmarkttheorie würde man beim S&P-500-Investment aufgrund seiner starken Diversifikation eher ein niedrigeres Risiko als beim Goldinvestment erwarten. Derzeit scheint an den Finanzmärkten aber das genaue Gegenteil der Fall zu sein.
Für mich ist Gold immer kaufenswert
Grundsätzlich möchte ich zwar nicht ausschließen, dass wir in den kommenden Monaten noch einmal die Marke von 1.700 Dollar pro Feinunze Gold testen werden. Preise darunter sind für mich aufgrund des völlig intakten fundamentalen Umfelds bei mittel- bis langfristigem Anlagehorizont aber eindeutig Kaufkurse. Von einem bin ich derzeit nämlich völlig überzeugt: Gold und Silber werden ihre altbewährte Funktion als Wertspeicher erfüllen und die Kaufkraft der Anleger über Generationen hinweg erhalten. Deshalb sollte ein solides Portfolio – meiner Meinung nach – zu 15 bis 20 Prozent auf Edelmetallen wie Gold und Silber basieren. Daran würde selbst ein weiterer Flash Crash absolut nichts ändern.
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