Rückblick auf zehn Jahre Finanzkrise
Mitte September hat sich die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers zum zehnten Mal gejährt. Erfahrene Anleger dürften sich an die damaligen Schockreaktionen der internationalen Finanzmärkte noch gut erinnern und fragen: Was haben wir daraus gelernt?
Die schlimmste Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte
Eines dürfte außer Frage stehen: Mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers begann im September 2008 die zweifellos schlimmste Finanzkrise seit der im Oktober 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise. Und das will durchaus etwas heißen, schließlich hatten wir mit Ölkrisen (1973 und 1979), Japan-Krise (1991), Tequila-Krise (1994), Asienkrise (1997) und Dotcom-Krise (2000) gute Vergleichsmöglichkeiten. Die Insolvenz von Lehman Brothers verursachte einen immensen Schaden, der vor allem außerhalb der Pleite-Bank angefallen ist. Unmittelbar vor dem „traurigen Jubiläum“ hat die deutsche Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen die bisher angefallenen Kosten für den deutschen Steuerzahler auf 59 Milliarden und die zu erwartenden Kosten auf 68 Milliarden Euro geschätzt. Die Wahrscheinlichkeit dürfte jedoch relativ groß sein, dass die tatsächlichen Kosten noch höher ausfallen werden, da die Finanzhilfen noch nicht völlig abgeschlossen sind.
Häufig wird allerdings vergessen, dass Lehman Brothers lediglich der Auslöser der Finanzkrise war und gewissermaßen als Brandbeschleuniger fungierte. Bereits in den Jahren zuvor war abzusehen, dass sich der Finanzsektor alles andere als in einer robusten Verfassung befand. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase (2000) haben nämlich die wichtigsten Notenbanken der Welt das getan, was sie immer tun, wenn die Finanzmärkte aus den Fugen geraten. Von 2000 bis 2004 wurden in den USA die Leitzinsen von sechs auf ein Prozent zurückgefahren, was jenseits des Atlantiks wiederum einen Immobilienboom nach sich zog. Die nachfolgende geldpolitische Zinswende führte bis Mitte 2006 zu einem Anstieg auf 5,25 Prozent.
Weil jedoch in den USA Immobilien aufgrund der niedrigen Zinsen und der ständig steigenden Immobilienpreise auch an Kunden schlechter Bonität verkauft wurden, konnten diese im Zuge steigender Finanzierungskosten, sinkender Immobilienpreise und einer wachsenden Arbeitslosenrate ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen. Da die Ausfallrisiken dieser Immobilienkredite aber nicht bei der jeweiligen Bank des US-Immobilienkäufers, sondern in Derivate verbrieft und an Investoren in der ganzen Welt weitergereicht wurden, blieben die Negativfolgen nicht auf die USA begrenzt. Viele dieser Investoren hatten ihrerseits versucht, über Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) ihre Risiken abzusichern. Doch auch diese Rechnung ging aufgrund des exorbitant hohen Gesamtschadens nicht auf.
Staaten retten die Verursacher der Krise
Bereits vor der Pleite von Lehman Brothers wurden einige Gesellschaften durch Staatsgelder gerettet – nicht nur in den USA, auch in Deutschland. IKB, Hypo Real Estate, SachsenLB, WestLB und Commerzbank – die Liste der Empfänger direkter Staatshilfen ist ziemlich lang. Profitiert hat von diesen Rettungsmaßnahmen aber der gesamte Bankensektor – auch die Deutsche Bank, die sich häufig damit gebrüstet hat, während der Finanzkrise nicht auf Staatsgeld angewiesen gewesen zu sein. Unter Anlegern machte zeitweise verstärkt der Slogan „Too big to fail“ die Runde. Bei Lehman Brothers versagte allerdings diese vermeintliche Gesetzmäßigkeit. Die nachfolgende Pleite der US-Investmentbank verursachte nie da gewesene Liquiditätsengpässe. Banken wollten sich untereinander kein Geld mehr leihen, weil keiner wusste, wer als Nächstes zahlungsunfähig würde. Notenbanken sind einmal mehr als Retter in der Not eingesprungen und haben die Banken mit der notwenigen Liquidität versorgt. Zum Höhepunkt der Krise und um einen Bank Run zu verhindern, sah sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. Oktober 2008 sogar gezwungen – zusammen mit dem damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück –, eine staatliche Garantie für sämtliche Bankeinlagen auszusprechen.
Das Misstrauen innerhalb des Bankensektors schlug sich auch auf die Konsumenten und die gesamte Wirtschaft nieder. In den USA schrumpfte zum Beispiel die Wirtschaft um 0,3 Prozent (2008) bzw. 3,5 Prozent (2009), während in Deutschland 2008 noch ein Plus von 1,3 Prozent und ein Jahr später ein Einbruch um fünf Prozent registriert worden war. Ohne die beiden von der Bundesregierung beschlossenen milliardenschweren Konjunkturpakete mit einem Volumen von über 50 Milliarden Euro wäre der Einbruch der Wirtschaftsleistung in Deutschland sicherlich noch heftiger ausgefallen.
Weil das Ausmaß der Krise eine nie da gewesene Dimension erreicht hatte, mussten die Notenbanken erfinderisch werden und starteten das größte geldpolitische Experiment aller Zeiten. Die Medikamente aus der Vergangenheit – nämlich die Reduktion der Leitzinsen auf bis zu null Prozent – reichten aber nicht mehr aus. Deshalb bedienten sie sich des Instruments der quantitativen Lockerung. Vorreiter dieser Entwicklung war die US-Notenbank Fed, die von Dezember 2008 bis Oktober 2014 im Zuge mehrerer Pakete Anleihen und andere Wertpapiere im Volumen von mehreren Billionen Dollar gekauft hat. Sinn und Zweck des Ganzen: Kredite sollten massiv verbilligt werden, damit diese den Konsum ankurbeln und die Konjunktur beleben, was in den USA mit Blick auf deren BIP-Wachstum und Arbeitsmarkt letztendlich auch gelang.
Nach der Krise ist vor der Krise: Existenzängste beim Euro
Doch mit dem Rückgang der Zinsen entstand der Nährboden für eine neue Fehlentwicklung – die Eurokrise. Weil das Schuldenmachen so günstig wie noch nie war, machten vor allem Länder an der südlichen Peripherie Europas davon reichlich Gebrauch. In der Finanzwelt setzte sich deshalb die despektierliche Abkürzung PIGS-Staaten (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) durch. Sie alle mussten europäische Rettungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, um eine Staatspleite zu verhindern. Griechenland stand dabei am nächsten am Abgrund, nachdem es im Herbst 2009 eingestehen musste, dass das Staatsdefizit mit zwölf Prozent doppelt so hoch wie erwartet ausfiele und in den Jahren danach private Gläubiger einen Schuldenschnitt hinnehmen müssten.
Erst Ende Juli 2012 läutete dann EZB-Chef Mario Draghi in seiner historischen Rede das Ende der Diskussionen um einen drohenden Zusammenbruch des Euros ein. Der magische Satz lautete: „Die EZB ist innerhalb ihres Mandats bereit, zu tun, was immer nötig sein wird, um den Euro zu schützen.” Anleger interpretierten dies als Garantie, dass die Anleihen gefährdeter Mitgliedsländer nicht ausfallen werden. Dadurch hat sich der Renditeaufschlag der Krisenländer gegenüber Triple-A-Anleihen um mehrere Prozentpunkte reduziert. Problem: Trotz alledem beklagte die EZB das geringe Wirtschaftswachstum in der Eurozone und befürchtete eine Deflation. Um diesen Negativtendenzen entgegenzuwirken, beschlossen die Notenbanker Anfang 2015 ein billionenschweres Paket zur quantitativen Lockerung, welches Ende 2018 auslaufen soll.
Bilanzsummen der Notenbanken explodieren
Die extrem niedrigen Zinsen haben zu einer massiven globalen Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privathaushalten geführt. Außerdem sind im vergangenen Jahrzehnt aufgrund der zahlreichen Rettungsprogramme die Bilanzsummen wichtiger Notenbanken förmlich explodiert. Bei der US-Notenbank war von 2008 bis 2018 eine Vervielfachung der Bilanzsumme von weniger als 700 Milliarden Dollar auf über vier Billionen Dollar zu beobachten, wobei im Hoch sogar ein Wert von über 4,8 Billionen Dollar registriert worden war. Ähnlich desaströs sehen die Zahlen der Europäischen Zentralbank aus: Vor der Pleite von Lehman Brothers belief sich die Bilanzsumme auf weniger als 700 Milliarden Euro, zehn Jahre später ist sie bei über 4,6 Billionen Euro angelangt.
Gold im Zeichen der Finanzkrise
Die Reaktion des Goldpreises auf die Verwerfungen an den Finanzmärkten war nicht immer plausibel. Auf die Meldung, dass Lehman Brothers Insolvenz angemeldet hat (15. September 2008), reagierte der Krisenschutz Gold an der London Bullion Market Association zunächst einmal mit einer vierwöchigen Kursrally von 750 Dollar auf 918 Dollar. Im Zuge der globalen Liquiditätskrise waren aber viele Investoren gezwungen, alles zu Geld zu machen, um nicht selbst zahlungsunfähig zu werden. Diese Verkaufswelle hat die grundsätzlich aussichtsreiche Krisenwährung Gold dann wieder in deutlich tiefere Regionen abstürzen lassen. Am 24. Oktober kostete die Feinunze Gold beim Londoner Vormittags-Fixing sogar weniger als 700 Dollar.
In den Jahren danach vollzog die Krisenwährung aber eine ausgesprochen rasante Bergfahrt, welche 2009, 2010 und 2011 zu Höchstständen im Bereich von 1.200, 1.400 bzw. 1.900 Dollar geführt hat. Während auf Dollarbasis im September 2011 das bisherige Allzeithoch von mehr als 1.900 Dollar erzielt worden war, führte in Euro gerechnet die oben erwähnte Eurokrise Anfang Oktober 2012 zu einem Rekordhoch von 1.382 Euro. Seither haben jedoch die Krisenängste im Zuge steigender Preise für Aktien, Anleihen, Immobilien und Kryptowährungen deutlich nachgelassen und zu einer kräftigen Korrektur des Goldpreises geführt.
Dass die globalen Finanzsysteme angesichts der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren alles andere als sturmsicher anzusehen sind, liegt auf der Hand. Vor allem die EZB hat derzeit mit dem Brexit, der italienischen Haushaltspolitik und Bankenkrise sowie dem maroden Griechenland weiterhin große Herausforderungen zu bewältigen. Problem: Die geldpolitische Munition, um neue Krisen wirksam zu bekämpfen, ist in den vergangenen Jahren arg dezimiert worden. Während die US-Notenbank Fed seit Dezember 2015 bereits siebenmal die Leitzinsen erhöht und zudem eine Reduktion der Bilanzsumme auf den Weg gebracht hat, ist die EZB vom Einleiten der Zinswende noch ziemlich weit entfernt. Nach aktuellem Stand sollen Ende des Jahres die Anleihekäufe auslaufen, wobei frühestens im Sommer 2019 der erste Zinsschritt nach oben in Aussicht gestellt wurde.
Anleger sollten sich von der aktuellen Ausverkaufsstimmung an den Goldmärkten auf keinen Fall anstecken lassen und die aktuelle Situation eher als attraktive Kaufgelegenheit einstufen. Fazit: Als Renditebringer ist Gold derzeit zwar eindeutig „out“, als krisensicheres Wertaufbewahrungsmittel dürfte es aber auch in Zukunft nicht aus der Mode gekommen. Ob das Vertrauen in die ultraexpansive Geldpolitik der Notenbanken und die damit einhergehende Hausse bei Anlageklassen wie Anleihen, Aktien und Immobilien gerechtfertigt ist, werden wir wohl erst in einigen Jahren erfahren. Vorsichtige Anlegernaturen können die aktuelle Zuversicht der Investoren aber auch als hochgradige Sorglosigkeit interpretieren. Mit einer Goldquote von zehn bis 15 Prozent kann man allen Unkenrufen zum Trotz „drei Fliegen mit einer Klappe schlagen“: Krisenschutz, Vermögensschutz und Inflationsschutz.
Bildrechte: ©Ralf Geithe@iStock