Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien: Heizen ist ein Grundrecht
Der Jubel rund um den kurzzeitigen Rückgang der Inflation ist längst verklungen, stattdessen mahnen immer mehr Ökonomen: Die zweite Runde der Geldentwertung steht kurz bevor. So hat beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien gegenüber der Tageszeitung „taz“ erklärt, dass die Gasumlage dazu führen werde, dass die Inflation auf zehn Prozent steige: „Die nun angekündigte Umlage wird rechnerisch die Inflationsrate um 1,0 Prozentpunkte erhöhen, wenn auf die Umlage auch Mehrwertsteuer erhoben wird“, rechnet Dullien vor.
Im Gespräch mit der „taz“ geht Sebastian Dullien auf die Gründe der Rekordinflation ein. Er stellt klar, dass die Preise für Erdgas die großen Treiber seien und dass die Gasumlage die Lage zusätzlich verschärft habe. „Die 10-Prozent-Marke ist psychologisch eine wichtige Marke. In normalen Zeiten achten die Menschen nur wenig auf die Inflation, weil sie wissen, dass Preissteigerungen von um die zwei Prozent einen niedrigen Wert darstellen“, betont Dullien.
Er befürchtet, dass sich die Inflationserwartung der Menschen in Deutschland von der tatsächlichen Entwicklung abkoppelt. Oder anders gesagt: Wenn sowieso alles teurer wird, können die Marktteilnehmer ihre Preise zusätzlich anheben. Zudem werden das Auslaufen des 9-Euro-Tickets und der Wegfall des Tankrabatts dazu führen, dass im September etwa anderthalb Prozentpunkte auf die Inflation draufgerechnet werden müssten.
Der Wirtschaftswissenschaftler geht im Interview hart mit der Bundesregierung wegen der Einführung der Gasumlage ins Gericht: „So wie sie jetzt konstruiert ist, halte ich sie zumindest für problematisch. Millionen Haushalte werden zusätzlich belastet, damit sie systemrelevante Gasversorger retten – ohne die sozialen Folgen auch mit Blick auf eine noch höhere Inflation abzufedern“, warnt Dullien. Er plädiert für einen Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch. Dadurch würde man den Anstieg der Inflation zumindest dämpfen.
Eine Absage erteilt Sebastian Dullien hingegen dem Vorschlag des wissenschaftlichen Beirates beim Bundeswirtschaftsministerium, der günstiges Gas in Relation zum Vorjahresprogramm umsetzen möchte: „Ich halte diesen Vorschlag für falsch. Hier in Deutschland verbrauchen die obersten zehn Prozent der Bevölkerung doppelt so viel Gas wie die untersten zehn Prozent“, erklärt Dullien. Die reichsten Haushalte würden in diesem Modell also eine doppelt so hohe Gassubvention erhalten wie die ärmsten zehn Prozent. Dabei müssten vor allem die Ärmsten entlastet werden.
Völlig aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten sind unterdessen nach Ansicht des Experten die anderen Energieträger. Dullien rechnet vor, dass Haushalte mit Ölheizung nur mit einer Verdoppelung ihrer Heizkosten rechnen müssten. Dabei sei klar: „Heizen gehört zum Grundrecht.“ Zudem sei bezahlbare Energie eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft. Auf diese kommen jedoch unvorstellbare Kosten zu. Hier rät Dullien ebenfalls zu staatlicher Hilfe: „Unternehmen, die wegen zu hoher Gaspreise ihre Produktion drosseln, muss geholfen werden, sei es in Form von Kurzarbeitsunterstützung oder auch mit Direkthilfen. Niemand soll wegen der Gaskrise pleitegehen oder den Arbeitsplatz verlieren.“
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