Sechs besonders brisante Themen
Von Manfred Gburek
Aktuell drängt sich gleich ein halbes Dutzend Themen auf: Klimaschutz, Cyberkriminalität, Inflation, Italien, Bundesbank und Gold. Es ist wichtig, alle im Auge zu behalten; denn sie bilden einen erklärungsbedürftigen Komplex mit zunehmender Bedeutung auch für Anleger. Die Ursachen der Kursausreißer nach oben oder nach unten können eben längst nicht mehr primär der Umsatz- und Gewinnentwicklung von Unternehmen oder dem Angebot und der Nachfrage von Gold und Silber zugeordnet werden, sondern müssen der ganzen Komplexität von Politik einschließlich Geldpolitik, Technologie und letzten Endes auch Psychologie Rechnung tragen.
Machtmenschen wie Trump setzen gern Akzente
Was hat es mit der Anti-Klimaschutz-Kampagne von Donald Trump auf sich? Außer seiner zur Schau getragenen Machtdemonstration und der Einlösung seines Versprechens an amerikanische Bergleute zunächst nicht allzu viel; dafür ist das internationale Klimaabkommen zu komplex. Machtmenschen wie Trump setzen gern Akzente und hoffen dann, dass alle Welt sich nach ihnen richtet. Diktatoren hatten mit dieser Methode schon vielfach Erfolg. Dagegen sind die Erfolgsaussichten eines demokratisch gewählten US-Präsidenten diesbezüglich minimal.
Der Multimilliardär George Soros wettet an der Börse mit hohem Einsatz gegen Trump, dessen Russland-Affären weiter für Schlagzeilen sorgen und dessen diverse Versprechen – Obamacare abschaffen, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer errichten u.a. – offenbar nicht einlösbar sind. Die folgende besonders aussagekräftige Prognose zu den Trump-Folgen hat der erfolgreiche US-Investor William H. Janeway im Manager Magazin vom vergangen September abgegeben, also weit vor der Präsidentschaftswahl: „Wenn er gewinnt, stürzen die USA in ein tieferes Chaos als England, Schottland und Wales zusammen.“
Bisher beschränkt sich das amerikanische Chaos weitgehend auf Affären rund um das Weiße Haus. Doch das kann sich schnell ändern.
Besonders spektakulär waren zwei Kursstürze amerikanischer Aktien
Womit wir zur Cyberkriminalität kommen, das heißt, zu Angriffen auf alles, was direkt oder indirekt digital ist, vom Kühlschrank bis zum Kernkraftwerk, vom Babyspielzeug bis zur Börse. Besonders spektakulär waren zwei Kursstürze amerikanischer Aktien, der eine am 6. Mai 2010, der andere noch dramatischere am 24. August 2015, als die Kurse in Sekundenschnelle abstürzten, ohne dass zunächst eine Ursache gefunden werden konnte. Beim zweiten der beiden Stürze waren besonders ETFs (börsennotierte Fonds) betroffen, die heute wieder groß in Mode sind. Die Scharte konnte schnell ausgemerzt werden, die nachträgliche Cyber-Ursachenforschung verlief dagegen weitgehend im Sand.
Noch recht frisch in Erinnerung ist der weltweite Angriff auf Router der Deutschen Telekom vom 9. Dezember 2016, wodurch Telekom-Kunden vom Netz getrennt wurden. Der Fall ging durch deutsche Medien wie kaum ein anderer. Dabei gab es in letzter Zeit noch weitere Angriffe, die an der Zuverlässigkeit von Hard- und Software im digitalen Zeitalter zweifeln lassen.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik führt unter anderem die folgenden auf: Angriff auf die Zentralbank von Bangladesch, auf das Kernkraftwerk Gundremmingen, den Schweizer Rüstungskonzern Ruag und den Flughafen Schwechat. Sogar der Deutsche Bundestag wurde zum Angriffsziel von sogenannter Malware. Nach einer Telekom-Studie ziehen sich klassische Hacker in Zukunft eher aus der Cyberkriminalität zurück, wohingegen organisierte Banden immer mehr Zulauf erhalten.
Um die Inflation ist es zuletzt ruhig geworden. 1,4 Prozent in der Eurozone per Mai reißen offenbar niemanden mehr vom Hocker – außer EZB-Chef Mario Draghi, der seinen Kritikern jetzt ins Stammbuch schreiben kann: Seht her, wie recht ich mit meiner geldpolitischen Unterstützung der Konjunktur in der Eurozone habe. Und solange die Löhne nicht kräftiger steigen als jetzt, werde ich wie bisher fortfahren. – Der EZB-Rat, der über die Geldpolitik entscheidet, wird Draghi mehrheitlich auch in nächster Zeit folgen.
Draghi hebt indes besonders auf Lohnsteigerungen ab
Die jüngste Rückgang der Inflationsrate ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Basiseffekt des Ölpreises nachgelassen hat, dass also ein hoher Ölpreis aus der Statistik geflogen ist und einem niedrigen Platz gemacht hat. Im Gegenzug sind die Lebensmittelpreise gestiegen. Draghi hebt indes besonders auf Lohnsteigerungen ab. Sobald diese sich abzeichnen, wird die Inflationsrate wieder zulegen – und danach nicht mehr zu halten sein, denn bei weiter steigenden Lebensmittelpreisen wird es wohl bereits im nächsten Jahr zur berüchtigten Lohn-Preis-Spirale kommen, je nach Standpunkt auch Preis-Lohn-Spirale genannt.
Draghis Geldpolitik hilft Italien, ja das Land ist von ihr so abhängig wie noch nie – und es nimmt das geldpolitische Geschenk dankend an, indem es weiter Schulden macht, statt durchgreifende Reformen anzugehen. DZ Bank-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier traf neulich in einem Interview den Nagel auf den Kopf, als er feststellte: „Es handelt sich um den größten Schuldner im Euroraum mit den größten ökonomischen Herausforderungen und dem schwächsten politischen System.“
Dabei wird es bleiben, unabhängig davon, ob bald ein Regierungswechsel kommt. Man kann sich das anhand der zig Wechsel während der vergangenen Jahrzehnte so vorstellen: Eine Parteienkoalition ergreift die Macht und verspricht Besserung. Dann vergehen ein paar Monate, und sie stellt fest, dass der Staatshaushalt nichts mehr hergibt, damit die Wirtschaft in Schwung kommt und Reformen durchgezogen werden. Daraufhin tritt die Regierung ab und macht der nächsten Platz. Und so weiter. Vor dem Euro-Zeitalter half einfach die nächste Lira-Abwertung, um die Wirtschaft wieder ein wenig zu beleben. Dagegen muss heute der ganze Euroraum für Italiens Schulden geradestehen.
In Anbetracht solcher Zustände erscheint Deutschland geradezu als Musterknabe. Doch diese Rolle ist gefährlich, und zwar nicht allein deshalb, weil andere Euroländer unter Italiens Führung den deutschen Finanzminister mehr oder weniger diskret um Geld bitten bzw. auf dem Umweg über die EZB und den Internationalen Währungsfonds bitten lassen. Nein, die Gefahr lauert auch bei der Bundesbank. Verkürzt dargestellt: Ihre Teilnahme am Anleihenkauf durch die EZB hat bereits dazu geführt, dass sie mit Anleihen vollgepumpt ist. Das lässt sogar Zweifel an der Budgethoheit des Bundestags aufkommen.
Zuletzt hat der Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber dazu beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht, mit dem der weitere Anleihenkauf durch die Bundesbank auf dem Umweg über die EZB zurückgedreht werden soll. So entbrennt erneut ein Streit, mit dem sich neben diesem höchsten deutschen Gericht auch schon der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt hat. Scheitert Kerber, bleibt erst mal alles beim Alten. Danach dürfte wieder der EuGH an die Reihe kommen. Setzt Kerber sich dagegen schlussendlich durch, ist mit einer neuen Finanzkrise zu rechnen.
Anmerkungen zur Entwicklung des Goldpreises
Nun noch ein paar Anmerkungen zur Entwicklung des Goldpreises, der am Freitag (02.06.2017) rasant in die Höhe geschossen ist. Daraufhin haben die meisten Börsenkommentatoren den US-Arbeitsmarkt als vermeintliche Ursache ausgemacht.
Wie bitte? Der dazu servierte amerikanische Daten- und Meinungssalat ist wieder mal unerträglich: weniger neue Arbeitsplätze als erwartet, Löhne ohne klare Richtung, Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2001, allerdings verbunden mit der Befürchtung, das sei es gewesen, und auf alldem basierend das irreführende Fazit, die US-Notenbank Fed werde in Anbetracht dieser und weiterer Daten bei ihrer nächsten Sitzung am 14. Juni den Leitzins erhöhen.
Was hat das mit dem Goldpreis zu tun? Sie haben es bestimmt schon geahnt: nichts. Nur vereinzelt findet sich der Hinweis auf eine möglicherweise sinkende Inflationsrate in den USA. Doch dann dürfte die Fed den Leitzins nicht erhöhen. Nein, all die Pseudo-Argumente bringen uns kaum weiter.
Wie steht es stattdessen um die Beobachtung, dass am Freitag (02.06.2017) trotz des nach oben geschossenen Goldpreises die Kurse der Gold- und Silberaktien, gemessen an den Indizes XAU und HUI, praktisch stagniert haben? Diese Beobachtung kann als Beleg dafür gelten, dass der Zusammenhang zwischen Edelmetallpreisen und -aktien manchmal nur marginal ist.
Das liegt ganz einfach daran, dass der Kursverlauf dieser Aktien nicht allein von den Preisen für Gold und Silber abhängt, sondern auch – manchmal, wie zurzeit, sogar ganz wesentlich – von Bewertungskriterien wie bei allen anderen Aktien. Nehmen Sie also in nächster Zeit neben Gold und Silber zusätzlich XAU und HUI enger ins Visier. Sobald die Indizes im Vergleich zu den Gold- und Silberpreisen wieder wie Anfang 2016 relative Stärke zeigen, können Sie sicher sein, dass die Edelmetallparty weiter geht.
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